Der Laserstrahl des Reed 5T kontrolliert permanent, ob sich das Tonarm-Endrohr mit untergeschraubtem System im rechten und somit richtigen Winkel befindet, und gibt in Echtzeit einem feinen Linear-Motor den Impuls, die Position der Tonarmbasis ständig zu verändern: Damit der Tonabnehmer über die gesamte Plattenseite auf Ideallinie bleibt.
Definiert hat diese Ideallinie kein Geringerer als Thales von Milet. Kennen Sie nicht – oder vielleicht doch? War der nicht auf der letzten High End in München auf dem Stand von Firma Soundso? Sicher nicht. Thales von Milet ist schon lange tot, lebt aber in Mathematik büchern munter weiter. Von ihm stammt der »Satz des Thales«, den er tatsächlich noch etwas früher mathematisch bewies als sein berühmter Kumpel Pythagoras den seinen. Von dem, was Thales zu Lebzeiten – also zwischen 624 und 544 vor Christus – ent deckte, profitiert jetzt der Reed 5T. Thales fand nämlich heraus, dass innerhalb eines Halbkreises, der mit den Punkten A und B beginnt und endet, jede Verbindung von A und B zu einem beliebigen Punkt C auf der KreisLinie ein rechtwinkliges Dreieck ergibt. Schön und gut, aber was bedeutet das nun konkret für das Prinzip eines Drehtonarms? Ein »normaler« mit einer Länge von 9 bis 14 Zoll »trifft« den idealen Punkt zwi schen Ein und Auslaufrille nur zwei Mal, davor und danach kämpft er mit Fehl winkeln und SkatingKräften. Er müsste, würde er Thales folgen, also permanent seine Länge verändern, um auf der idealen, also tangentialen Spur zu bleiben.
Tangential ist genial Die Idee eines »tangentialen Drehtonarms« ist nicht neu. Wer hat’s erfunden? Der Schweizer Micha Huber, der den richtigen Dreh mit jeweils zwei Endrohren je Arm realisiert. Die litauische Edelmanufaktur Reed geht nun einen technisch eleganten und entscheidenden Schritt weiter : Im 5T verändert sich nicht die Länge des Endrohrs, sondern die Position der Basis. Motorgetrieben und Lasergesteuert, nicht gerade einfach, aber einfach genial. Ohnehin scheinen die rührigen Litauer dauernd neue Räder zu erfinden, so wie auch das Reibrad getriebene Laufwerk Muse C3, das dem 5T als HeimatBasis dient. Auch hier trieben sie es auf die Spitze und verblüffen mit einem mechanisch prächtigen Spieler, der sich von üblichen Konstruktionen deutlich abhebt. Denn statt nur eines Reibrads rotieren im Muse derer zwei: mit unterschiedlichen Durchmessern, um Resonanzen zu vermeiden. Überhaupt : Reibrad getriebenen Laufwerken wird zwar eine zupackende Gangart nach oder vorhergesagt, ihre Achillesferse sind aber die zwangsläufig damit einher gehenden, potenziell schlechteren Stör abstände. Da ist der verzeihliche Riemen zwischen Motorpulley und Plattenteller klar im Vorteil. Damit der rumpelnde Störenfried im Zaum gehalten wird, müssen Reibrad-Spieler tatsächlich mit der Präzision eines mechanischen Uhrwerks gefertigt werden. Martina Schöner, die Schöpferin des berühmten »L’Art du Son Transcription Reference« , eines ebenfalls Reibrad-bestück- ten Plattenspielers mit Traumklang zum Albtraumpreis (um 85 000 Euro), sagt sogar, dass ihr Meisterwerk nicht wegen, sondern trotz Reibrad-Antrieb so exzellent klänge. Der Eigner des Muse C3 kann das gelassen hinnehmen : Mit wenigen Handgriffen wandelt sich der Reibrad-Dreher zu einem mit Riemen getriebenen. (Sagte ich doch: Die Litauer erfinden ständig neue Räder.)
Ansichts-Sachen Das haben wir, Wolfgang Rixen und ich, (noch) nicht ausprobiert. Aber wir haben ihn gemeinsam gehört, darüber diskutiert und sind am Ende zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt.
»Reunion at Carnegie Hall 1963« von den Weavers (leider vergriffen) rotierte wechselnd auf dem edlen Reed und dem in Ausgabe 1/19 bereits getesteten Plattenspieler AVM R 5.3. Eine fantastische, nur mit drei Mikrofonen aufgezeichnete Live-Aufnahme mit viel Atmosphäre, einem gut gelaunten Publikum und herrlich markanten Stim- men. Wie der von Ronnie Gilbert mit »Guantanamera«: Die Reed-Kombination löste ihr Organ tatsächlich hervorragend auf, was Wolfgang Rixen ein Lächeln ins Gesicht zauberte, den Autor aber nicht ganz so ein- oder mitnahm. Wir hören also dasselbe, bewerten aber nicht gleich? Mir sagte die Interpre- tation des AVM deutlich mehr zu.
Struktur und Gestalt Dass dessen Auflösung – auch Tonabnehmer-bedingt – nicht an die der Reed-Kombination heranreichte, störte mich weniger, mich überzeugte vielmehr das Timing des AVM – das authentischere Zusammenfügen von Stimme, Atem- und Lippengeräuschen bei Frau Gilbert und anderen Interpreten. Mit einer weiteren Einspielung wurden die unterschiedlichen Ansätze noch einmal deutlicher. »Porgy and Bess« mit dem Cleveland Orchestra & Chorus unter Lorin Maazel (3 LPs, Speakers Corner) stellt Plattenspieler auf besonders harte Proben. Schon die erste Plattenseite hat es in sich beziehungsweise in der Gra- vur: hohe Dynamik – von ultraleise knapp über dem Knistergeräusch der Einlaufrille bis hin zu geradezu dramatisch lauten, kna- ckigen Attacken. Und immer wieder herausragende Gesangspartien, die – wie bei »Summertime« – die Grenzen der Abtast- fähigkeit auf die Probe stellen. Mit einer Spieldauer von über 28 Minuten ist diese Seite obendrein recht lang, folglich eng geschnitten.
Sind die Würfel schon gefallen? Was wiederum dem Reed mit motorgetriebenem, Laser-gesteuertem tangentialem Drehtonarm prächtig entgegenkommen müsste. Theoretisch zumindest.
Gespannt lauschten Wolfgang und ich, was eine knappe halbe Stunde an Programm geboten wurde – notierten eifrig und wechselten auf das Vergleichsgerät und schrieben auf, was ge- und missfiel.
Grobdynamisch, da waren wir uns völlig einig, distanzierte der AVM R 5.3 den bal- tischen Dreher eindeutig. Dessen Spannbreite wirkte im Vergleich doch ein wenig gestutzt. Aber schon auf hohem Niveau, sei fairerweise hinzugefügt. Doch auch mitGeorge Gershwin als Zeugen arbeitete der AVM binnendynamische Finessen eine Spur wirklichkeitsgetreuer ab.
Weder Sie noch Wolfgang Rixen und ich waren bei der Aufnahme der Platte 1976 im Studio – aber wir kennen alle das Geräusch fallender Würfel. Auf Seite A fallen sie einige Male, von einer Seite zur anderen, von oben nach unten. Mit dem AVM konnte ich das perfekt nachvollziehen, mit dem Reed nicht ganz so zwingend.
Dass das Konzept des 5T nicht nur Selbst-, sondern Mittel zum Zweck ist, bewies das Reed-Gespann mit zunehmen- der Nähe zur Auslaufrille. Grandios, wie selbstverständlich der im 5T eingebaute Tonabnehmer – Brinkmann EMT ti – noch die komplexesten Hürden locker meisterte. Typische analoge Artefakte, wie das in äußerst leisen Passagen stets wahrnehm-bare Rillengeräusch, wirkten wie entstört, wenn der 5T getreu der Thales-Lehre übers Vinyl fuhr: fast auf dem Niveau eines CD-Players.
Der Wahrheit auf der Spur Der Reed Muse C3 mitsamt Tonarm 5T wird die Redaktion nicht verlassen. Wir sind ein- fach noch nicht fertig damit, werden Ver- schiedenes ausprobieren, um die Perfor- mance weiter zu verbessern. Und somit auch der Frage nachzugehen, welche Zuta- ten bei einem Plattenspieler letztlich den Klang wie stark beeinflussen: Laufwerk, Tonarm, Abtaster. Oder: Welchen Einfluss haben Verkabelung und Rack? Der Reed ist Forschungs- und Arbeitsgerät.
Deshalb wurde er gekauft. Der Grund, weshalb das HiFi & Musik Journal auf eine Bewertung an dieser Stelle verzichtet.
Meinung: Laufwerk oder Tonarm, was ist wichtiger?