Krell Vanguard, Vollverstärker

Sag mal, welche Anlage dich am meisten beeindruckt hat« zählt zu den Fragen, die mir nicht nur Leser, sondern die ich mir auch selbst oft stelle. Meist fallen mir unermesslich teure Konfigurationen ein, die ich in den offiziellen Hörräumen testen durfte. Aber, ganz ehrlich, die Anlage, die den ersten und nachhaltigsten Eindruck hinterließ, die tatsächlich mein Leben in die bekannten Bahnen lenkte, war eine andere.

Drücken statt drehen: Die Bedienung erfolgt über Tasten, auch mit der mitgelieferten, sehr soliden Fernbedienung. Preis. 6.000 Euro

Ich hörte sie bei meinem damaligen Händler in Wuppertal – aus dessen etwas tiefer gelegenem Studio tönte Musik mit einer Intensität und Körperhaftigkeit, die ich so ausgeprägt, so prächtig und mächtig vorher nie so hören, spüren und fühlen konnte. Wie unglaublich weit schienen mir meine eigenen Geräte davon entfernt – welche Komponenten damals ihr Bestes gaben? Keine Ahnung. Was ich weiß ist, dass Sie, der Sie diese Zeilen lesen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ähnliche Erfahrungen machten. Mit Erlebnissen wie diesen, bei Händlern, Nachbarn, Freunden oder vielleicht sogar schon zuhause mit den Eltern, begann die Leidenschaft für Technik und Musik, für HiFi. Wie oft sehnten wir uns danach, Erlebnisse dieser intensiven Art zu wiederholen. Wir verraten es ja nicht im Freundes- und Familienkreis: Aber selbst- verständlich sind einige von uns regelrecht »süchtig« nach »HiFi« und laufen somit auch latent Gefahr, dass die »Dosen«, im konkreten Fall die Kosten, für das Hobby,ständig erhöht werden müssen, um den »Kick« zu erreichen. Deshalb sind Leute wie wir ständig unruhig und mitunter unter- wegs auf der Suche nach dem großen Klang.

Die »World of HiFi« im letzten Jahr. Die große alte Dame unter den mittlerweile sich schwindelerregend vermehrenden HiFi-Tagen (deutsch, mitteldeutsch, westdeutsch, norddeutsch, süddeutsch) ist wieder da – und das ist wirklich gut so. Das Konzept gefällt mir auch persönlich, da nicht nur Geräte, sondern Musik im Fokus steht. Ich hörte mal hier, lauschte mal dort – und dann haute es mich in einem der Räume dermaßen von den Socken, das ich vom Glauben abfallen wollte. Bei Audio Reference, einem der größten Vertriebe für High End, musi- zierte eine schon optisch ansprechende, extrem ausdrucksstarke Kette. Eine, die Ener- gie an der (für mich) richtigen Stelle entlud. Mit warmem, vollem Klang ohne high- endig-harsche, zischelnde, Effekthascherische Artefakte. Einfach Musik pur. Wie damals bei HiFi Thelen in Wuppertal. Im Fokus des Ensembles: ein unscheinbarer Verstärker aus den Vereinigten Staaten.

Der Krell Vanguard zählt mit knapp 6000 Euro tatsächlich noch zu den Einstiegs-produkten des amerikanischen Herstellers. Eine Firma übrigens, die verschiedene Eindrücke bei mir hinterließ. Immerhin kaufte ich mir im letzten Jahrtausend mal eine die­ser ausladenden Class­-A­-Endstufen mit scharfkantigen Kühlblechen und einer Neigung, beim Einschalten grundsätzlich die Haussicherung rauszuhauen. Das konnte ich dem Klotz verzeihen, nicht aber, dass der grau­schwarze Riese ungewöhnlich »lahm« und müde Musik reproduzierte.

In der Fol­gezeit, nun schon als Redakteur, begegneten mir immer wieder Komponenten von Krell, die mir super gefielen (beispielsweise die FBP­-Serie) oder weniger anmachten (Vorstu­fen und CD­Player) sowie auch positiv über­raschten wie der erste Vollverstärker. In die­ser Tradition steht der Vanguard, den ich fürs Erste als konventionellen Verstärker bewerten möchte. Er könnte – gegen 1900 Euro Aufpreis – auch als digitale Schalt­- und Verarbeitungszentrale dienen, vorerst habe ich das entsprechende Digital­-Modul nicht bestellt. Im Gegensatz zu vielen seiner Vor­gänger besticht die Fertigungsqualität nicht nur von vorn, sondern aus allen Perspekti­ven. Dass der Vanguard leise surrende Lüfter statt üblicher Kühlkörper nutzt, empfinde ich tatsächlich als ein Manko. Gerade mit sehr dynamischer Musik, also Produktionen mit einer dynamischen Spannbreite bis zu 60 dB, stört jedes verzichtbare zusätzliche Geräusch. Auf der »World of HiFi« konnte mir das natürlich nicht auffallen, konzen­triert im Hör­- oder auch später Wohnraum dann leider schon sehr.

Krell, das sind von jeher keine Schwach­maten, die protzen schon aus prinzipiellen Gründen mit Leistung satt und da will der Vanguard nicht danebenstehen. Um 338 Watt stellt er an 8 und immerhin noch 200 Watt an 4 Ohm parat. In der Praxis erwies sich das als nicht sonderlich relevant, denn in allen Konfigurationen ging diesem Krell nicht die Luft aus.

Volle Kanne, kleines Gehäuse Der Krell Vanguard zählt zu den Vollverstärkern, dieMusik auf eher breiten Bühnen zelebrieren. Die nicht mit versessener Verliebtheit die letzten Finessen herausarbeiten wollen, sondern sich primär um die akustischen Herausforderungen in den Mitten scheren. Grob vereinfacht: Ich würde ihn nicht als erste Wahl für die ebenso in dieser Ausgabe vorgestellten Suesskind Fortschritt LX wählen. Der rechtfertigt sein Dasein mit einer extremen Auflösung und alle ihnbedienenden Komponenten sollten das Gleiche tun.

Darf’s ein bisschen mehr sein? Erstaunt war ich indes, als der Vanguard mit der gigantisch teuren und guten Gauder DARC 100 gemeinsam auftrat: Die beiden passen tatsächlich recht gut zueinander. In dieser Konstellation blieb es auch bei der phänomenalen Auskunftsbereitschaft bislang verborgener Informationen in CDs, Streams und LPs: Die DARC 100 mit Keramik-Tweeter und hörbar transparenter mit Diamant-Treiber wussten zu gefallen und ihre Stärken zu betonen. Und wie schlug sich der Ami mit einer aufgebrezelten HiFi-Box vom Schlag einer Canton Vento Reference 1 DC? Passte. Mehr Power und Auflösung benötigt der Taunus-Lautsprecher nicht wirklich. Der Vanguard, ein guter, warmer und gleichwohl schneller Amp, High End eben, aber finanziell (gerade) noch erreichbar.

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