Der Kompromiss ist der natürliche Feind des ambitionierten High Enders. Und Kompromisse geht ein, wer eine Komponente mit allzu vielen Aufgaben betraut. Die sprichwörtliche »eierlegende Wollmilchsau« hat in Systemen mit audiophilem Anspruch Hausverbot. Es sei denn, sie stammt von einer der etabliertesten Manufakturen auf diesem Erdball.
Es geschah bei den Norddeutschen HiFi-Tagen im schnieken Showroom von Audio Reference, also einem der größeren deutschen High-End-Vertriebe mit einem stattlichen Portfolio an bestens bekannten Marken. Eine davon ist Audio Research. Eine Institution aus dem Land der begrenzten Unmöglichkeiten. Die Amis schufen legendäre Komponenten mit gigantischem Aufwand, Kernkompetenz: Röhren-basierte Verstärker.
Hall of Fame Auf diesem Feld tummeln sich viele, einige mischen ganz oben mit. Aber nur sehr wenige schufen Meisterwerke im Vor- und Endstufenbau. Die Betonung liegt auf dem Wörtchen »und«.
Gedanken, die ich mir im besagten Vorführ-Raum in Hamburg machte, als meine Augen andere High-End-Juwelen des Importeurs erblickten : Lecker, die unglaublich aufwendig gestalteten und ebenso teuren Bausteine von Dan D’Agostino ; mächtig und prächtig, die ausladen- den Kraftpakete von Krell; oder fein und subtil, die stets raffinierten Komponenten von Meridian. Mit so viel Marken-Power fällt es natürlich nicht schwer, einen guten Sound auch unter erschwerten Messebedingungen zu stemmen.
Ich hatte ja schon einige Demonstrationen an diesem Samstag bei den »Nord- deutschen« vernommen und teilweise sehr genossen, aber im Reiche von Audio Reference tönte es tatsächlich mit am besten: druckvolle, gut austarierte Bässe, knochen- trockene Schlagzeug-Attacken, authentische Anschläge auf dem Klavier und ein ebensolches, natürliches Ausschwingen der Töne. Ja, so muss es klingen, will man Leute für HighEnd begeistern. Aber, was spielte denn genau an diesem Vormittag? Italienische Lautsprecher – eher preislich moderat –und als Verstärker machte ich ein ziemlich stattliches Gerät im typischen Look von Audio Research aus. Doch was den Anschein einer »fetten« End-stufe vermittelte, entpuppte sich als Vollverstärker. »Voll« dürfte eine Untertreibung für eine Komponente sein, die neben einer Phonostage insbesondere einen mit allen Schikanen gerüsteten Digital-Analog-Wandler an beziehungsweise im Bord hat: Der versteht und wandelt bis zu einer Abtastrate von üppigen 192 Kilohertz und unterstützt neben konservativen 16 auch 24 und sogar 32 Bit an digitalen Wortbreiten.
MacOS und Co. are welcome Diesen Service beschränkt der GSi75 (so die Typen bezeichnung) nicht nur auf übliche Zuliefer Quellen aus der HiFi-Abteilung, sondern bedient auch Rechner mit den aktuellen Betriebssystemen MacOS, Windows und Linux.
Zwar kommt der GSi75 mit dem optischen Charme eines Röhren-Amps daher, allerdings rackern die Glimmer Kolben ausschließlich im Endstufen Sektor, sämtliche anderen Baugruppen sind in Transistor-Technik ausgelegt. Das ist weder ein Vor- noch ein Nachteil, dachte ich schon bei der denkwürdigen Performance in Hamburg, obwohl Glaskolben in der Ausgangsstufe eher auf eine bescheidene Leistung-Ausbeute in Watt schließen lassen – weshalb dann dieser begnadete Klang? Schade, dass Johannes Maier, Kollege aus seligen Zeiten bei der Motorpresse Stuttgart, nicht neben mir stand. Dessen, zusammen mit Laborleiter Peter Schüller ersonnene, fundierte und absolut praxisgerechte Klirr-Theorie hätte hier weitergeholfen. Sie besagt – grob verkürzt –, dass nicht die absolute Höhe des Klirrs entscheidend ist, sondern dessen prozentuale Verteilung der geraden und ungeraden Klirrgrade, und zwar unter allen Betriebsbedingungen. Dieses im Hinterkopf dürften die Entwickler von Audio Research auch ihren »Integrierten« abgestimmt haben, die Jungs (und Mädels?) verstehen halt ihr Handwerk.
Die Magie des Augenblicks Eine Vorführung »auf den Punkt« zu setzen, ist kein Zufalls-Produkt, sondern Erfahrung, gepaart mit harter Arbeit. Die Musik muss passen und tunlichst vielen Zuhörern gefallen. Okay. Aber schon den richtigen Pegel festzulegen, ist alles andere als trivial. Ist er zu gering – und das auch nur um einen »Hauch« –, droht Langeweile, gerät er einen »Tick« zu viel – und schon stößt das Equipment an Grenzen und nervt.
Aber genau dies unterschied die Demo in Hamburg vom darauf folgenden Test in Wuppertal. Hier wollte ich ausloten, wie sich dieser Audio Research in Grenzbereichen schlug. Der GSi75 erwies sich als ein gutmütiger, verzeihender Spielpartner. In den relevanten Hörtests verband ich ihn via TMR Ramses (demnächst eine Story) mit den Bowers & Wilkins 800 D3 sowie mit einer älteren Canton Vento Reference 1.
Horn oder Breitbänder? Auf einen Lautsprecher mit extrem hohem Wirkungsgrad konnte ich getrost verzichten, da die Muskelkraft des Probanden bestens reichte. Als Quellen fungierten der CD-Player Burmester 06, der Plattenspieler Transrotor Dark Star Silver Shadow sowie als Streaming-Zulieferer der Elac Discovery mitsamt Tidal-Account. Hut ab, wie sich der GSi75 mit deutlich unter Zimmerlautstärke verordneten Pegeln verhielt, war klasse. Er driftete kein einziges Mal ins Belanglose ab, »hielt« das jeweilige Stück zusammen. Am entgegengesetzten Ende, also mit bedrohlich anwachsendem Pegel-Gewitter, hielt er sich zunächst wacker und unbeeindruckt, musste aber – wie jeder andere auch – irgendwann passen. Dieses »Irgendwann« kommt scheinbar unvermittelt und zwingt zu einem energischen Dreh nach links am groß dimensionierten Lautstärke-Knauf. Das Gute oder besser : Gutmütige daran : Derartige Ausflüge verschoben nicht die Arbeitspunkte der Leistungsröhren. Wer sich der High Fidelity verschreibt und entsprechend investiert, sucht nach Komponenten, die mit jeder Art von Musik optimal reproduzieren. Das sollte eigentlich auch für diesen GSi75 gelten. Gleichwohl glänzte der Audio Research mit einer besonderen Vorliebe für Klavier-Musik. Ich erinnere mich mit Freu- den an eine musikalische Reise mit dem Ausnahme-Pianisten Grigory Sokolov, die abends gegen 20 Uhr startete und die des Nachts um 3 Uhr immer noch keine Lust verspüren ließ, die Session zu beenden.
Das kann Musik, wenn zwischen ihr und dem Hörer nichts steht, was artifiziell, verfremdend oder schlicht schlecht ist. Mozart, Klavier-Sonate Nr. 12 in F, Köchel- verzeichnis 332, beispielsweise das live eingespielte Allegro, gewandelt und verstärkt vom GSi75 – für diese Momente voller Anmut, Stärke und Schönheit lebt der Audiophile. Danach strebt er. Und lässt andere gerne daran partizipieren. Wie in Hamburg, Wuppertal – oder bei Ihnen.